von Sofia Pintzou
„Labyrinthos“ Sofia Pintzou
Dramaturgische Notiz von Aristoteles Chaitidis
Projektbeschreibung – begriffliche Einordnung – künstlerische Ausformung
In dieser Tanzperformance werden die „geordneten Wirren“ des Labyrinths ausgelotet, eine „wirre“ Ordnung gezeichnet, die in uns und um uns herum herrscht und die nur der individuelle Wille be-schreiten kann. Das Individuum handelt gegen die widrige Ordnung und entdeckt nicht nur den „Weg ins Zentrum und wieder zurück“ sondern vielmehr den Weg von außen in sein eigenes Inneres und wieder nach außen.
Labyrinthe stellen potente Symbole in vielen Kulturen dar und das seit Jahrtausenden. Strukturen, die auf den Symbolwert des Labyrinths hinweisen, finden sich in diversen Weltgegenden wie Brasilien, Arizona, Island, in Afrika, Indien, auf Sumatra und über ganz Europa verstreut. Chronologisch lassen sich Darstellungen bis 4000 Jahre zurückverfolgen. Für die westliche Imagination spielte mit Sicherheit der Mythos des Minotaurus und das Labyrinth von Knossos, welches König Minos errichten ließ, eine herausragende Rolle. Es beflügelte nicht nur die Phantasie der nachfolgenden Jahrhunderte/Jahrtausende von der griechischen Antike bis hin zur Römerzeit, sondern legte die Fundamente für eine Reihe symbolträchtiger Auslegungen in der Christlichen Tradition bis hin zu psychologischen Deutungsmustern in der Moderne. Lassen sich in der frühen Antike bereits die Grundthemen des Männlichen und des Weiblichen und ihrer teils feindlichen, teils kollaborierenden Dimension im Mythos aufspüren, so verinnerlicht das Christentum vor allem des Mittelalters das Labyrinth als den einen, wahren Pfad zur christlichen Erlösung. Ein Pfad voller Wirren und irreführender Abwege, der jedoch trotz seiner –für den unkundigen Menschen- Unübersichtlichkeit einer verborgenen Ordnung folgt und eines ganz sicher aufweist: einen Eingang/Anfang und ein Zentrum. Doch es gibt noch einen weiteren Aspekt, auf den hier einzugehen von größter Bedeutung ist: die Begehung des Labyrinths besteht nicht nur aus dem Willensakt, sich auf einen ungewissen Weg zu machen, voller Gefahren und Täuschungen; er besteht vor allem darin, dass man, im Zentrum angekommen, nun wieder zum Ausgang gelangen muss. Gewissermaßen handelt es sich um eine einmalige Pendelbewegung, bei der das Pendel einmal ausschlägt, sein Ziel erreicht und beim Zurückschwingen an seinen Ausgangspunkt gelangt – und es doch nicht tut: Der Mensch, der einmal das Zentrum erreicht hat und es dann wieder zurück geschafft hat, ist unweigerlich transformiert.
Die Wissenschaft und insbesondere die Physiologie des Menschen nennt den Teil des inneren Ohres Labyrinth, der für das Gleichgewicht des Menschen sorgt. Damit der Mensch seine aufrechte Haltung einnehmen kann, die ihn so distinktiv von allen Lebewesen unterscheidet, muss er „in sich hinein horchen“. Ein innerer Kompass lässt ihn den Kopf emporheben und hindert ihn am Straucheln. Diesen Sinn für das Gleichgewicht, diesen „inneren Kompass“, der dem Menschen auf seiner Entdeckungsreise dient, gilt es in der Tanzperformance zu erforschen.
Die doppelte Rolle des Labyrinths als Symbol für das weibliche und das männliche Gestaltungs- und Erkenntnisprinzip bildet ein weiteres Fundament: Daedalus (Prototyp des männlichen Ingenieurs) hat mit Pasiphaës Hilfe (Mondgötting) das Labyrinth gebaut, Theseus hingegen hätte ohne Ariadnes Faden, den Weg zurück ans Licht nie gefunden. Daedalus’ Gestaltungswille ist ohne den weiblichen Gegenpart ebenso „unfruchtbar“ wie Theseus’ Mut ohne Ariadnes Beisteuern vergebens gewesen wäre.
Die Unterwerfung des „Geordnet-Ungeordneten“ unter den menschlichen Willen und sein Bewusstseinsbestreben sowie die Erkenntnis, die aus dem großen Unterbewussten unserer labyrinthischen Seele und deren Vermessung erwächst, erfolgt durch die Zusammenarbeit zweier komplementärer Kräfte in uns selbst. Daher ist es für die Choreographie und Anordnung der Performance nur folgerichtig, dass zwei Tänzerinnen die zwei Seiten einer einzelnen Entität darstellen. Solo II bedeutet nichts anderes als ein Solo, das von zwei verschiedenen Tänzerinnen ausgeführt wird. Dabei erforschen sie ihr Labyrinth jeweils in unterschiedlicher Richtung: die eine hin-gehend, die andere her-kommend. Beide in einer streng von innen gelenkten Formsprache, die keinerlei Fremdeinflüsse verrät. Die Choreografie hält sich dabei in Körperführung und Raumgestaltung an Abläufe, die einerseits den klaren und destillierten Willen des Individuums zeigen wollen, sein Labyrinth zu durchschreiten, andererseits jedoch die Unwegsamkeit, das Undurchdringliche und die schiere Gegenläufigkeit des Verfahrens in Szene setzen: Zu meinem Zentrum zu gelangen erfordert eine Form des Autismus, die dann gefährlich werden kann, wenn der „Faden der Ariadne“ fehlt, um die Bewegung zum Zentrum hin wieder rückläufig zu machen und wieder an den Ausgang zu gelangen. Die zwei Figuren, die gleichzeitig parallel und gegenläufig zueinander agieren, treffen sich in der Mitte ihres Weges –die eine nach innen, die andere nach außen- in einem magischen Moment gegenseitiger Anagnorisis, die aber dennoch nur eine scheinhafte und flüchtige Momentaufnahme ist in der großen Bewegung des Pendels. Das Labyrinth wird sie bald wieder verschlucken und der Irrweg nach innen und nach außen wird fortgesetzt.
Ungeachtet des flüchtigen Charakters dieser Anagnorisis bleibt dem gesamten Prozess und somit der Tanzperformance an sich ein erkenntnisbringender Moment erhalten. Die Reise im Labyrinth wirkt nicht zuletzt identitätsstiftend deshalb, weil das Subjekt sich selbst zu begegnen imstande ist: Solo II.
Mein eigener Hintergrund als Griechin, die in der Fremde eine (künstlerische) Heimat zu finden sucht und dabei zu ihren (mythologischen) Wurzeln oszilliert, beschreibt sehr gut den Aspekt der Identitätsfindung sowie der Neuorientierung und Positionierung. Zu Zeiten, da Politik immer mehr auch Weltpolitik bedeutet, erscheint mir die Introspektion des Individuums zum Ziele einer dezidierte(re)n Standortbestimmung zwingend. Unter dem Gesichtspunkt des Zeitgeschehens fiele es mir schwer, die politische Dimension einer solchen Thematik, wie ich sie mit „Labyrinthos“ bearbeiten will, auszuklammern. Das Individuum ist letztlich nie wirklich und gänzlich allein in seinem Labyrinth. Es gilt: Solo II
Aristoteles Chaitidis
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