Wenn Götter das dürfen*

Der Wandel war unsere Freude, da wir ja immer gleich,

der Mensch war uns wie Beute, im Äther schwach und bleich.

Es war Verlass auf Leben, Verlass auch auf den Tod

Was waren das doch für Zeiten, die Welt war noch im Lot.

*dann dürfen wir auch

*

Zwei Gestalten betreten den Schauplatz. Es sind Hera und Hermes. Sie wollen die Bühne für die Rückkehr der Götter vorbereiten. Doch die Welt ist verwüstet, der Planet voller Müll. Die einst blühenden Landschaften nun öde Halden. Während die Götter durch herumliegenden Müll und ausrangierte Gebrauchsgegenstände waten, treffen sie auf alte Bekannte aus Ovids Metamorphosen. Noch einmal zum Leben erweckt, erzählen sie von ihrem einst edlen Schicksal:

 

Unser aller Narziss, das selbstverliebte Erfolgsmodell der Netzgesellschaft;

Niobe, die Überhebliche, deren Selbstoptimierung zu Hybris führt;

Teiresias, der Seher, der sich für keines der beiden Geschlechter entscheiden will!

 

Was einst war, verwandelt sich in Neues, und Neues vergeht in Gewesenes. Doch bleibt der Kreislauf der Gestalten auch in Zukunft erhalten? Lohnt es sich überhaupt, die Erde für die Menschheit zu retten? Und was sagt Gaia, unsere Erde, eigentlich dazu? Erträgt sie ein weiteres Weltenalter mit Menschen und Göttern und allem, was diese anrichten?

 

Auf der Schubert-Bühne verwandeln sich Ovids Geschichten in ein allegorisches Zukunftsspektakel, wo allzu Göttliches nur allzu menschlich erscheint.

 

 

Heilig heißt notwendig fürs Leben

 

Heilige Orte brauchen wir heute nicht. Als die Aborigines 2019 das Verbot zur Besteigung des Uluru durchsetzten, war es für die Tourismusbranche imperativ, den wirtschaftlichen Schaden und den Einbruch der Zahlen herauf zu beschwören! Denn, ein Wald, ein heiliges Tier, eine heilige Quelle - was ist das schon vor dem Wohlergehen des modernen Menschen?

 

Was ist uns heute heilig? Wir sagen, persönliche Gegenstände, vielleicht auch Momente und Situationen sind uns heilig. Mein Kaffee am Morgen vielleicht. Meine Musiksammlung.

 

Wir lernen es in der Schule, im Biologieunterricht, in Geographie und Sozialkunde: was Ökosysteme zusammenhält, die Welt verbindet und Gesellschaften formt. Wir hören von Mangroven sowie Almwiesen, Wadis und dem Permafrostboden, auch wenn es sein kann, dass wir nichts davon mit eigenen Augen sehen werden. Und dann später, an der Universität, lernen wir, wie wir das alles nutzen können: Flüsse umleiten, stauen, abzapfen, Seen trocken legen, Grundwasser und Öl aus den Eingeweiden der Erde pumpen, Gestein schmelzen, die Bestandteile unserer Materie spalten und – würdige Nachfahren von Prometheus! - die Macht der Teile bannen. Und wir betreiben Studien, führen Untersuchungen durch und belegen die Wichtigkeit der Auwälder, der Artenvielfalt, bestaunen das Equilibrium und das schier unendliche Zusammenspiel des planetaren Systems. Dabei hat doch, was die Vernunft mit großem Aufwand zu begründen sucht, das natürliche Empfinden des sich im Einklang befindlichen Menschen schon vor Jahrtausenden gezeigt: Wir sind eins. Es gibt Grenzen. Übertretungen werden bestraft.

 

Dieser Wald ist heilig. Denn er beschützt und nährt uns. Dieser Fluss ist heilig, denn er sichert unser Überleben. Diese Quelle, dieser Baum. Dieses Tier ist heilig, denn ich kann nicht wahllos alles umbringen, was weniger wehrhaft ist. Die moderne Wissenschaft kommt zu denselben Schlüssen: Ich darf nicht alles umbringen, was sich bewegt. Ich darf nicht jeden Baum fällen, jeden Wald roden, jeden Fluss verdrecken, jede Quelle anzapfen. Der Unterschied ist, dass die Heiligkeit tatsächlich einen Schutz darstellte. Die Wissenschaft tut dies nicht.

 

 

Kostüme: Isabel Vollrath